C. Hirschi: The Origins of Nationalism

Cover
Titel
The Origins of Nationalism. An Alternative History from Ancient Rome to Early Modern Germany


Autor(en)
Hirschi, Caspar
Erschienen
Cambridge 2012: Cambridge University Press
Anzahl Seiten
241 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Sundar Henny

In seinem neuen Buch, einem thematisch ausgeweiteten Destillat seiner Dissertation von 2005, durchbricht Caspar Hirschi auf anregende und provozierende Weise die Grenzen historiographischer Genres und vereinigt konzeptionelle Diskussion mit genealogischer Diskursanalyse. Er geht dabei zuerst von den gängigen Definitionen von Nationalismus aus, wie sie von Historikern der Moderne erarbeitet wurden, und führt diese, ohne ihre Meriten zu verkennen, mindestens teilweise ad absurdum. Während er Benedict Andersons Begriff der imagined communities prinzipiell gutheisst, bemängelt er dessen heuristischen Nutzen für die Definition der besonderen Gemeinschaft Nation, denn wenn – wie Anderson selbst festhält – nahezu jede Gemeinschaft eine imaginierte ist, dann tendiert die Erklärungskraft der Gleichung «Nation = imagined community» gegen Null (S. 25). Ebenso pointiert verfährt Hirschi mit Eric Hobsbawms Traditionsbegriff («which leads to the paradoxical solution that ‘tradition’ is atypical of ‘traditional societies’»; S. 30) und Ernest Gellners funktionalistischem Verständnis von Nationalismus («Functions do not have much to say about causes: it does not rain because plants need water.»; S. 25).

Hirschi ist aber den genannten Ansätzen insofern verbunden, als auch er selbst einem konstruktivistischen Verständnis von Nationalismus verpflichtet ist, diesen aber nicht erst in der Moderne, sondern bereits in der Frühneuzeit keimen sieht. Doch auch dieser frühneuzeitliche Nationalismus kommt nicht aus dem Nichts, sondern nährt sich seinerseits aus spätantiker und mittelalterlicher Theologie und aus der Begrifflichkeit antiker römischer Staatlichkeit. Nationalismus ist demnach nichts anderes als die Fortsetzung des Römischen Reiches mit anderen, nämlich rhetorischen Mitteln: Das machtpolitisch fragmentierte Europa einerseits und die philologisch-humanistische Rezeption klassischer lateinischer Schriftsteller andererseits bewirkten, dass eine übergreifende Rede von Vaterland (patria) gedeihen konnte, dieses Vaterland aber in jedem Machtzentrum mit dem je eigenen Herrschaftsbereich konnotiert wurde. Die Spannung zwischen einem monistischen, europaweiten, von der Goldenen Latinität geprägten Humanismus und einem Pluralismus der politisch-militärischen Macht entlud sich in der Schöpfung des Nationalismus, der universalen und partikularen Bedürfnissen gleichermassen gerecht werden konnte. Die Universalität des Nationalismus liegt darin begründet, dass allen Mitspielern, also allen Nationen, gattungsmässige Gleichheit zugestanden wird. Hingegen ist er dahingehend partikular, dass er für die je eigene Nation einen Sonderstatus impliziert. Im Gegensatz zum Reich konnte es Nationen nur im Plural geben, doch jede einzelne konzipierte sich als Römisches Reich en miniature. Es braucht nicht viel Phantasie, um zu ahnen, dass diese Kombination von Gleichheit bei gleichzeitigem Anspruch auf Auszeichnung das Potential zu einem nicht selten mörderischen Wettkampf unter den Nationen barg, von denen sich jede als prima inter pares begriff.

Diese Entwicklung stellt Hirschi, uns von Cicero über Petrarca und Hutten bis zu Montesquieu führend, in einem diachronen Parforceritt dar, wie er in wissenschaftlicher Prosa selten ist: Diszipliniert diskutiert Hirschi die geschickt ausgewählten und oft ausführlich zitierten Quellen, wobei er mit Nonchalance antike

Münzen, mittelalterliche Buchmalerei und barocke Drucke heranzieht, wenn auch das Gewicht auf humanistischen Schriften des 15. und 16. Jahrhunderts liegt, die mit philologischer Expertise analysiert werden. Als entscheidendes Moment arbeitet er die Ereignisse am Konzil von Konstanz heraus, wo die bis anhin konkret begriffenen nationes erstmals abstrahiert und ihre Mitglieder erstmals als Repräsentanten gedeutet wurden, die mit der Nation auch deren Ehre vergegenwärtigen und verteidigen mussten.

Will man etwas monieren an diesem Buch so sind es zwei grobe Vereinfachungen: Erstens wird Forschung, die den Nationalismus nicht erst mit der Moderne beginnen lässt (etwa schon 1982: Armstrong, Nations before Nationalism) gänzlich übergangen. Zweitens wird – für einen englisch schreibenden Schweizer erstaunlich – Luther allzu umstandslos mit der Reformation gleichgesetzt. Eine Berücksichtigung der reformierten Ökumene mit ihrer multipolaren Katholizität hätte, ohne Hirschis übergeordnete These zu tangieren, seine Darstellung des Konfessionalismus als prinzipiell dem Nationalismus entgegenwirkende Kraft revidiert. Doch vielleicht sind diese Lücken der Preis für ein solch knappes und kurzweiliges Buch, in dem einem alles irgendwie altbekannt und gleichzeitig gänzlich neu entgegentritt.

Zitierweise:
Sundar Henny: Rezension zu: Caspar Hirschi: The Origins of Nationalism. An Alternative History from Ancient Rome to Early Modern Germany. Cambridge, Cambridge University Press, 2012. Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 63 Nr. 1, 2013, S. 163-164.

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